Euler/Badenheuer: Sprache und Herkunft der Germanen

Wolfram Euler und Konrad Badenheuer
Sprache und Herkunft der Germanen – Rekonstruktion des Frühurgermanischen vor der Ersten Lautverschiebung
2. Auflage 2021
Hardcover im Format 16,4 x 23,2 cm, 372 Seiten
ISBN 978-3-945127-278
89,00 €

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Die Fachwelt staunte, als der Münchner Linguist Wolfram Euler im Jahre 2009 mit dem Buch „Sprache und Herkunft der Germanen“ die erste Gesamtdarstellung dieses ältesten Germanisch der Bronze- und Eisenzeit vorlegte: „Das Neuland betretende Werk basiert auf profunder Kenntnis des linguistischen Materials und der wissenschaftlichen Fachliteratur. Für die weitere Beschäftigung mit dem Germanischen ist es von grundlegender Bedeutung“, würdigte der prominente Altgermanist Alfred Bammesberger dieses Buch.


Wie klang die Sprache der frühesten Germanen in der Bronze- und Eisenzeit, also in den ersten beiden Jahrtausenden vor Christus? Diese Frage scheint auf den ersten Blick ganz unbeantwortbar zu sein, denn aus dieser Zeit sind keinerlei Texte erhalten. Die frühesten Runeninschriften stammen aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, und aus der Zeit davor kennen wir nur einzelne germanische Wörter aus den Werken antiker Schriftsteller.

Und doch ist es möglich, die Sprache der Germanen in dieser Frühzeit recht genau zu beschreiben. Möglich wird das durch akribischen Vergleich der überlieferten altgermanischen Sprachen untereinander und mit der rekonstruierten proto-indogermanischen Sprache, die im 4. Jahrtausend vor Christus gesprochen worden ist.

Das Buch „Sprache und Herkunft der Germanen“ hat bei seinem Erscheinen eine seit etwa 120 Jahren bestehende Forschungslücke geschlossen: Erstmals wurden die Übergangsformen zwischen dem westlichen Indogermanischen (um 2000 v. Chr.) und dem Urgermanischen (um 100 v. Chr.) in einer Gesamtdarstellung erforscht und beschrieben. Seither sind zahlreiche Arbeiten erschienen, und das Bild, das wir heute vom frühesten Germanisch haben, ist immer präziser geworden. Die neuen Forschungen und vor allem die weitere Arbeit von Wolfram Euler selbst an diesem Thema haben eine Neuauflage des seit Jahren vergriffenen Buches nötig gemacht. In jedem Buchteil gibt es Ergänzungen und Erweiterungen.

Außerdem haben humangenetische Forschungen der letzten Jahre unser Wissen über vorgeschichtliche Wanderungsbewegungen dramatisch erweitert. Die weit über 100 Jahre lang umstrittene Frage nach der Herkunft der Germanen ist deswegen immer genauer und sicherer beantwortbar. Kapitel I dieses Buches aus der Feder von Konrad Badenheuer skizziert den aktuellen Forschungsstand und beschreibt einige skurrile Irrwege der Wissenschaft beim Umgang mit dem politisch oft missbrauchten Thema der Germanen.

Rezensionen der 1. Auflage

G E R M A N I A – ANZEIGER DER RÖMISCH-GERMANISCHEN KOMMISSION
DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS

Jahrgang 91 2013 1.–2. Halbband, S. 283 – 286, erschienen am 29. Juni 2015.

WOLFRAM EULER / KONRAD BADENHEUER, Sprache und Herkunft der Germanen. Abriss des Protogermanischen
vor der Ersten Lautverschiebung. Verlag Inspiration Un Limited, London / Berlin
2009. € 14,95. ISBN 798-3-9812110-1-6. 240 Seiten mit zahlreichen Abbildungen.

WOLFRAM EULER, Das Westgermanische von der Herausbildung im 3. bis zur Aufgliederung im
7. Jahrhundert. Analyse und Rekonstruktion. Verlag Inspiration Un Limited, London / Berlin
2013. € 49,–. ISBN 978-3-9812110-7-8. 244 Seiten mit vier Abbildungen.

Es bedarf sicher einer ausdrücklichen Begründung, wenn zwei Publikationen sprachwissenschaftlichen
Inhaltes in einer archäologischen Fachzeitschrift – nun, gewiss nicht rezensiert, aber immerhin
angezeigt werden, zudem von einem Verfasser, der die für einen Rezensenten im eigentlichen Sinn
erforderliche philologische Kompetenz bei weitem nicht besitzt und der deshalb allenfalls als Hinweisgeber
fungieren kann. Immerhin: Beide Bücher zeigen auf ihren Umschlägen Farbbilder archäologischer
Fundstücke, einmal des bronzezeitlichen Sonnenwagens von Trundholm und zum anderen
einen kaiserzeitlichen Beinkamm aus Mitteldeutschland, und im Text vor allem der erstgenannten
Publikation sind zahlreiche weitere Bilder von archäologischen Objekten eingefügt, die bekanntermaßen
germanischer Herkunft sind. Auch die archäologische Evidenz, so scheint es schon auf den
ersten Blick, steht offenbar in einem sachlichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Inhalt beider
Bücher.
Ein weiteres kommt hinzu: Von den beiden Autoren des Buches über „Sprache und Herkunft der
Germanen“ ist der erstgenannte, Wolfram Euler nämlich, wohlbekannt als „Kapazität auf dem Feld
der Indogermanistik“ – so D. v. Wachter im „Vorwort des Herausgebers“ (S. 6) –, während der zweite
Autor, Konrad Badenheuer, in erster Linie als Journalist und Publizist zu gelten hat; sein Name
wird im Titel in etwas kleinerer Schrift aufgeführt. Eine solche Beteiligung lässt aber erkennen, dass
sich diese Schrift auch einem breiteren Publikum öffnen möchte, über die engeren philologischen
Fachkreise hinaus, und ganz gewiss nicht zuletzt einem an Geschichte und Archäologie der Germanen
auch wissenschaftlich interessierten Publikum.
Den griffigen Titel des Buches von 2009 präzisiert sein Untertitel: Er verspricht einen Abriss,
mindestens eine Skizze also, des Protogermanischen vor der Ersten Lautverschiebung. Hier mag
mancher stutzen: Hat nicht nach herkömmlicher Auffassung die Erste Lautverschiebung, also vor
allem die Umwandlung von Verschlusslauten (z. B. „p“) zu Reibelauten (z. B. „f“), zusammen mit
einigen anderen Neuerungen wie einer Akzentverschiebung, das Germanische überhaupt erst konsti-

tuiert und seine Ausgliederung aus dem Indogermanischen markiert? Es ist vor allem eine chronologische
Feststellung, welche Euler zufolge gegen die Richtigkeit dieser Auffassung spricht. Allem Anschein
nach war die Erste Lautverschiebung am Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. und namentlich
im Westen des (mutmaßlichen) Germanengebietes noch keineswegs abgeschlossen. Spektakuläre Belege
dafür sind u. a. die Stammesnamen der gegen Ende des 2. Jahrhundert v. Chr. in Erscheinung
tretenden Kimbern und Teutonen, welche von den römischen Autoren wohlgemerkt in dieser Form
und nicht lautverschoben als Chimbri Theudonique bezeichnet werden (S. 13, bes. S. 66 f.). Euler
nimmt folglich an, dass besagte Lautverschiebung erst um die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. und
vermutlich zuerst im Osten eingesetzt hat und dass sie erst geraume Zeit später, und zwar im Westen,
zu ihrem Abschluss kam. Nachdem bisher die gesamte Entwicklungsphase des Germanischen von
seiner Herausbildung aus dem Indogermanischen (in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausend v. Chr.)
bis zu seiner Aufgliederung in Einzelsprachen, die sich erst geraume Zeit nach der Zeitwende vollzog,
als „urgermanisch“ bezeichnet wurde, wendet Euler (S. 15 f.) diesen Begriff in abgewandelter
Form („späturgermanisch“) nur für die Phase zwischen Lautverschiebung und Einzelsprachen an. Er
nennt die vorausgehende Entwicklungsstufe vor der Lautverschiebung nun aber nicht „frühurgermanisch“,
sondern „protogermanisch“. (Man hätte wohl auch von einem frühen und einem späten,
besser noch von einem älteren und einem jüngeren Gemeingermanisch reden können.) Festzuhalten
ist jedenfalls, dass die Durchführung der Ersten Lautverschiebung samt ihrer Begleiterscheinungen
nicht mehr als konstitutiv für das Germanische angesehen wird. Es gab folglich eine germanische
Sprache vor dieser Lautverschiebung, und es ist das wesentliche Anliegen des Buches, die charakteristischen
Züge dieser als protogermanisch bezeichneten Sprache herauszustellen.
Dies ist also inhaltlich und auch umfangmäßig der Hauptteil des Buches: Eine zumindest umrisshafte
Rekonstruktion einer Sprache, von der allenfalls eine Handvoll Namen historisch überliefert
ist, einer Sprache mithin, die lange vor den ersten genuin germanischen Sprachzeugnissen in Gestalt
von – sehr lakonischen – Runeninschriften und schließlich der Wulfila-Bibel gesprochen worden ist.
Was sich über Konsonantismus und Vokalismus, über die Deklination der Nomina und die Konjugation
der Verben, über Satzbau, Wortbildung, Betonung und vieles andere mit mehr oder weniger
großer Sicherheit erschließen und ermitteln, oft auch nur vermuten lässt, kann nur durch rückschreitende
Rekonstruktion aus jüngeren Sprachformen, weiterhin aufgrund von Analogiebildung
aus verwandten Sprachen und aus sprachlichen Entlehnungen in dieser oder jener Richtung abgeleitet
werden. Es versteht sich, dass bei einem solchen Vorgehen nicht jeder Schritt mit zwingender
Logik und gleich großer Gewissheit vollzogen werden kann, sondern dass immer wieder auch Einfühlungsvermögen
und Sprachgefühl zur Geltung kommen müssen. Das Resultat verdient jedenfalls
rückhaltlose Bewunderung: Eine uralte, nicht nur längst vergessene, sondern auch in keiner Weise
direkt dokumentierte Sprache gewinnt wenigstens umrisshaft eine reale Gestalt.

Das wird sinnfällig dokumentiert in einer Reihe von kurzen Texten (S. 211 ff.), die in dem so
wiedergewonnenen Protogermanisch dargeboten und fallweise Versionen im „Späturgermanischen“,
Gotischen und anderen germanischen Sprachen gegenübergestellt werden. Da gibt es die erdichtete
Fabel „Das Schaf und die Pferde“: Owis ékwos-kwe lautet sein protogermanischer Titel – das müsste,
beiläufig bemerkt, auch ein Lateinsprechender verstanden haben, was wiederum durch die relative
Nähe zur gemeinsamen indogermanischen Grundsprache verständlich wird. Naheliegend war es ferner,
den in der Wulfila-Bibel überlieferten gotischen Text des Vaterunsers – Anachronismus hin
oder her – ins Protogermanische zu übertragen: Páter únsere eni kémenoi, wéiknaid nómun téinon …
Der historische Gewinn der sprachgeschichtlichen Bemühungen der Autoren wird für den fachwissenschaftlich
Außenstehenden gerade an solchen Resultaten sinnfällig erkennbar.
So mag es auch der vor- und frühgeschichtliche Archäologe als eine Bereicherung empfinden,
wenn er der einen oder anderen unter den ihm geläufigen mitteleuropäischen Formengesellschaften

der Bronze- und Eisenzeit eine Sprachgemeinschaft zuordnen kann. Wenn Euler (S. 49 u. ö.) beispielsweise
die Aunjetitzer Kultur als Hintergrund, ja als Entstehungsgrund jener protogermanischen
Sprachgesellschaft betrachtet und deren zeitliche und geographische Lagerung in ihrer Frühzeit durch
die Kongruenz mit jener älterbronzezeitlichen Fazies zumindest angedeutet sieht, so mag auch dem
Archäologen bewusst werden, dass nicht nur Bestattungssitten und Sachformen, sondern auch
sprachliche Gemeinsamkeiten Ausdruck menschlicher Gesellungsformen sind.
Das Stammbaummodell S. 221 veranschaulicht die Zusammenhänge in übersichtlicher Weise:
Aus dem (West-)Indogermanischen gehen ab dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. das Baltische, Italische,
Keltische und eben auch das Protogermanische hervor. Aus letzterem entsteht in der zweiten
Hälfte des 1. Jahrtausend v. Chr. durch die Erste Lautverschiebung und weitere damit einhergehende
Veränderungen das „Späturgermanische“ als jüngere germanisch Gemeinsprache.
War diese jüngste Ausprägung der gemeingermanischen Sprache Gegenstand der Monographie
von 2009, so widmet sich das zweite hier anzuzeigende Buch von 2013 einem abermals um zwei
Entwicklungsstufen jüngeren Sprachzustand. Aus dem sog. Späturgermanisch entwickelten sich in
der nachchristlichen Ära zwei Sprachkomplexe: Das „NW-Germanische“ im Westen und „ostgermanische
Dialekte“ im Osten. Während aus letzteren alsbald, im 4. / 5. Jahrhundert n. Chr., die gotische
Sprache (neben anderen) hervorging, teilte sich zur gleichen Zeit das Nordwestgermanische in
die urnordische Sprache einerseits und eine westgermanische Sprache andererseits auf. Dieses Westgermanische
nun ist der Gegenstand der Monographie von 2013. Diese ist analog zu der Arbeit von
2009 aufgebaut, und auch an ihr hat Konrad Badenheuer mitgewirkt: Wie aus dem Vorwort des
Verfassers (S. 11) ersichtlich wird, hat er nicht nur ein Teilkapitel, sondern auch die Zusammenfassung
geschrieben.

Die Quellenlage ist für das um die Wende von Altertum zum Mittelalter gesprochene Westgermanisch
nur geringfügig besser als für die älteren Sprachzustände: Außer etlichen historisch überlieferten
Eigennamen kann nur eine Handvoll Runeninschriften angeführt werden – eine Quellengattung,
die freilich für das faziell gleichzeitige Urnordisch wesentlich umfangreicher belegt ist. Runeninschriften,
naturgemäß auf archäologischen Objekten – das ist hier aufmerksam zu registrieren: Einen
sprachgeschichtlich bedeutsamen Befund bietet die Inschrift auf dem erst kürzlich entdeckten Beinkamm
von Erfurt-Frienstedt – so der korrekte Name des Fundortes (S. 16 mit Detail-Abb., das ganze
Stück abgebildet auf der Rückseite des Einbandes). Die Inschrift besagt, worum es sich handelt:
kaba für kamba meint nichts anderes als „Kamm“. Sprachgeschichtlich bedeutsam ist dabei der Wegfall
des auslautenden Zischlautes (Sibilant), der im Späturgermanischen gewiss noch vorhanden war
(*kambaz). Die gleiche und gleichermaßen westgermanische Eigenart bezeugende Endungsform
weist etwa bei den merowingerzeitlichen Runendenkmälern von Freilaubersheim, Neudingen und
Pforzen das dort jedes Mal verwendete Wort runa auf (S. 28 f.). Der Neufund von Frienstedt wurde
inzwischen ausführlich behandelt durch CH. G. SCHMIDT/ R. NEDOMA / K. DÜWEL (Ein Kamm mit
Runeninschrift aus Frienstedt [Stadt Erfurt]. Arch. Korr.bl. 43, 2013, 257–276). Demnach ist der
Kamm nach Form und Fundzusammenhang bereits in die Jüngere Kaiserzeit zu datieren, näherhin
ins 3. Jahrhundert n. Chr., und gehört „womöglich sogar in einen frühen Abschnitt des 3. Jahrhunderts“
(ebd. 262). „Damit liegt hier … der älteste sichere Nachweis der westgermanischen Sprache
vor“ (ebd. 275).

So wertvoll die wenigen Runendenkmäler gerade durch die ihnen innewohnenden Datierungsmöglichkeiten
sind, der durch sie überlieferte Sprachbestand reicht natürlich bei weitem nicht aus,
das historische Westgermanisch in seiner Gesamtheit wenigstens skizzenhaft zu umschreiben. Hier
setzt Euler das schon bei der Rekonstruktion des Protogermanischen erprobte Verfahren ein, aus
Gemeinsamkeiten der Sprachkomplexe der nächsten Generation, hilfsweise auch der beiden nächsten
Generationen, auf die Merkmale der Ausgangssprache zurückzuschließen: Althochdeutsch bzw. hy-

pothetisches Voralthochdeutsch, Altsächsisch, Friesisch und vor allem Angelsächsisch / Altenglisch.
Das macht nun den Hauptteil des Buches aus: Die gelehrte Rekonstruktion von Wortbildung,
Grammatik und Syntax, in begrenztem Umfang auch des Wortschatzes dieses in direkter Form so
außerordentlich dürftig belegten Sprachzustandes des Westgermanischen. Für den Geschichtsforscher
der archäologischen wie historischen Observanz mag es durchaus reizvoll sein, eine Vorstellung davon
zu gewinnen, wie sich die Trägerinnen jener Bügelfibeln untereinander unterhalten haben oder
in welchem Idiom der Frankenkönig Chlodwig seinen hoffnungsvollen Söhnen die Prinzipien seiner
Machtausübung vermittelt hat. Einen sinnfälligen Ausdruck dieser Sprachwelt vermitteln auch in
diesem Buch die im 6. und letzten Teil aufgeführten Textproben. Dabei wird die Eigenart des Westgermanischen
nicht zuletzt durch die Gegenüberstellung mit anderen gleichzeitigen, aber auch mit
älteren oder jüngeren Idiomen verdeutlicht. Zu der authentisch urnordischen Runeninschrift auf
dem goldenen Horn von Gallehus ek HlewagastiR holtijaR horna tawido wird die westgermanische
Fassung angeboten: ik χlewagastî χolti χornâ dedâ und dazu auch die westgotische, wie sie Wulfila
hätte bringen können: ik hliwagasts hulteis haúrn tawida. Ferner findet sich das aus dem Band von
2009 bereits bekannte Vaterunser hier wieder, nun zusammen mit anderen christlichen Texten wie
dem Weihnachtsevangelium und einem Taufgelöbnis, und auch die dem Leser nun schon seit dem
Protogermanischen geläufigen Sprichwörter und Redensarten finden hier eine Fortsetzung – gerade
sie sind wegen ihrer sprachlichen Prägnanz ein ungemein reizvoller Lesestoff.
Wer immer in der Rekonstruktion einer längst vergangenen Wirklichkeit eine der vornehmsten
Forschungsaufgaben sieht, sei er nun Archäologe, Historiker oder Philologe, findet in der Lektüre
der beiden hier angezeigten, unter Mitwirkung von Konrad Badenheuer entstandenen Bücher von
Wolfram Euler eine höchst anregende und gewinnbringende Lektüre.

Hermann Ament
D–55126 Mainz Hermann Ament
Ludwig-Schwamb-Str. 45
E-Mail: ament@uni-mainz.de

„Über die Herkunft der Deutschen – Ein sprachwissenschaftlich-historisches Buch schließt kollektive Wissenslücken von erstaunlicher Größe“

Ein schmales Bändchen, das, so der Anschein, unter dem gewichtigen Titel schier erdrückt wird: Das ist der erste äußere Eindruck des Buches „Sprache und Herkunft der Germanen“, das der Linguist Wolfram Euler zusammen mit dem Journalisten Konrad Badenheuer verfasst hat. Doch es kommt anders als gedacht.

Ein zweigeteiltes Werk erwartet die Leser. Zunächst ein kompakter Abriss des enorm großen Themenfeldes, dann eine bis in feine Einzelheiten ausgearbeitete Studie zur Genese des Germanischen – letztere ganz überwiegend aus der Feder von Euler, erstere aus der von Badenheuer. Sehr lesbar und informativ ist dabei der erste Teil. Wer sich für die Kulturgeschichte Europas interessiert, ist von der ersten Seite an dabei und lernt aus flüssig und kompetent geschrieben Ausführungen. Geschickt werden Schulwissen und wissenschaftliche Kenntnisse gleichermaßen aufgenommen und auf einen verständlichen Nenner gebracht.

Enorm aufschlussreich im Speziellen ist der zweite Teil – aber Philologen sind hier klar im Vorteil. In höchst anspruchsvoller Untersuchung rekonstruiert Euler die (prä-)germanische Sprache, wie sie im Laufe des 2. und 1. Jahrtausends vor Christus gesprochen wurde – soweit das überlieferte Sprachmaterial diese Rekonstruktion eben zulässt.

Euler schließt damit eine alte Forschungslücke und liefert zugleich neue Argumente dafür, dass das Germanische sich nicht zuerst in Skandinavien herausgebildet hat, sondern in Mitteleuropa. Letzteres war übrigens, wie im ersten Teil des Buches herausgearbeitet wird, schon einmal Stand der Forschung und wurde dann ab etwa 1890 (mit eher dürftigen Argumenten) im Sinne der skandinavischen Herkunft der Germanen „korrigiert“. Die Stimmigkeit ihrer Argumentation in diesem Punkt bestätigt dem Autorenduo der bekannte Namensforscher Professor Jürgen Udolph, der seit längerem mit anderen Argumenten zum selben Schluss kommt. Was Eulers Rekonstruktion des frühesten Germanisch der Bronze- und Eisenzeit angeht, so bestätigt ihm der Eichstätter Kollege Prof. Alfred Bammesberger „profunde Kenntnis des linguistischen Materials und der wissenschaftlichen Fachliteratur“. Die Abstraktion ist in diesem Teil allerdings vielfach so, dass der Rezensent nur noch staunend das präsentierte Ergebnis – darunter kurze Texte in frühgermanischer Sprache – zur Kenntnis nehmen, aber kein eigenes Urteil über deren Richtigkeit mehr aussprechen kann.

Die Korrekturen, die die Autoren an unserem kollektiven Weltbild über unsere Vorfahren anbringen, sind erheblich. Erstaunlich, wie groß unsere kollektiven Wissenslücken bislang waren! Die Germanen seien mit frühen Skandinaviern gleichzusetzen, seien echte Nordmänner gewesen, so lernten wir es in der Schule. Doch davon stimmt nur wenig. Vielmehr lagen die ältesten, bronzezeitlichen Wurzeln der vorgermanischen Stammesverbände, deren direkte Nachkommen wir vornehmlich durch die Brille der römischen Überlieferung kennen, mitten im heutigen Deutschland. Schon wegen dieser einen Korrektur – und das Buch bietet mehrere davon – schließt diese Arbeit eine große Lücke.

Das Buch ist mit etwa 40 Abbildungen großzügig illustriert, allerdings wurden zum Teil Karten verwandt, deren Aussagekraft in der Bildunterschrift gleich wieder relativiert wird. Sinnvollerweise hätte man einer veralteten Karte eine Darstellung mit dem neuen Forschungsstand beigeben können. Doch davon abgesehen ist die Bebilderung von hoher Qualität und Aussagekraft.

Der Inhalt des Werkes ist, das sei zusammenfassend gesagt, wahrlich gewichtig, der erwähnte Altgermanist Bammesberger spricht anerkennend von „grundlegender Bedeutung für die weitere Beschäftigung mit dem Germanischen“. Die Aufmachung steht dazu in gewissem Gegensatz. Der Inhalt, eines fest gebundenen Buches ohne Abstrich würdig, wirkt durch die broschürenhafte Form unnötig verletzlich. Ungeachtet dessen ist der Preis von 29,90 Euro für „Sprache und Herkunft der Germanen“ angesichts des Erkenntnisgewinns durchaus angemessen.

Sebastian Sigler

(Preußische Allgemeine Zeitung vom 10. April 2010)

„Eine neuartige, ja bahnbrechende Synthese“

Wolfram Euler und Konrad Badenheuer: Sprache und Herkunft der Germanen. Abriss des Protogermanischen vor der ersten Lautverschiebung. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter. Hamburg/London: Verlag Inspiration Un Limited, 2009.

Das Buch, das der Münchener Sprachwissenschaftler Wolfram Euler zusammen mit dem Publizisten Konrad Badenheuer vorlegt, setzt sich ein ungewöhnlich umfassendes Ziel: Die Rekonstruktion des Altgermanischen vor der Ersten Lautverschiebung. Dieses früheste Germanisch wurde immerhin etwa 1800 Jahre lang gesprochen.

Zu seiner Rekonstruktion werden – vor dem Hintergrund von Siedlungs- und Kulturgeschichte – umfassend die sprachwissenschaftlichen Indizien versammelt, gewogen und zu einer neuartigen, ja bahnbrechenden Synthese verbunden. Dabei zeigt das Buch, wie Daniel von Wachter in seinem Vorwort zutreffend schreibt, Grundlagenforschung, und dies nicht nur in den Resultaten, sondern auch in der ‚Logik der Forschung‘, die aber auch für den Nicht-Linguisten, der sprachgeschichtlich und historisch interessiert ist, weitgehend zugänglich ist.

Im ersten Teil wird eine scharfsinnig brillante Vorurteilskritik im Vorgriff auf die späteren Ergebnisse entwickelt: Welche Gründe waren es, die Belege übersehen oder in einer bestimmten Weise interpretieren ließen und damit ein Bild der Ursprünge des Germanischen grundlegten, das einer gründlichen Revision betraf? Den kritischen Teil ‚Überholtes und Übersehenes‘ kann man insofern auch als Einübung in sachgemäßes wissenschaftliches Fragen und die Gefahren der Aberration von dessen Maximen und Normen verstehen. Prägnant wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass die sogenannte siedlungs- archäologische Methode zunächst, vor allem bei Gustaf Kossinna, in einer nicht-reflektierten, naiven Weise betrieben wurde, dann aber in Folge der NS-Zeit unter Kuratel gestellt wurde. Auch die – an sich wünschenswerte und notwendige – Zusammenarbeit von Archäologen und Linguisten sei dabei korrumpiert und infolgedessen in Deutschland nach 1945 praktisch beendet worden. Das aber sei die falsche Konsequenz aus der richtigen Erkenntnis eines Missbrauchs, wovon beide Disziplinen in Deutschland bis heute große Nachteile hätten, sehr im Unterschied zu der linguistischen bzw. prähistorischen Forschungssituation in England, Russland und den meisten anderen Ländern. An die grundsätzliche Berechtigung dieser interdisziplinären Perspektive sei wieder anzuschließen. Dabei muss man sich auch klarmachen, dass die von Kossinna durchgesetzte, durchaus fragwürdige Theorie, wonach die ‚Urheimat‘ des Altgermanischen in Skandinavien zu finden sei, gegen starke Argumente nach wie vor in Geltung ist, obwohl sein volkskundlicher, ja rasseideologischer Ansatz und viele weitere seiner Positionen mittlerweile zu Recht unter ein Verdikt fielen. Kossinnas Forschungen werden zu Recht auch deshalb scharf kritisiert, weil er von „scharf umgrenzte[n] archäologische[n] Kulturprovinzen“, die sich stets „mit ganz bestimmten Völkern oder Völkerstämmen“ deckten, spricht; im Blick auf dieses Ideologem, so das Autorenduo, sei die Kritik jedoch zu radikal ausgefallen. Sie schlagen statt dieses als „lex Kossinna“ bekannten „Gesetzes“ eine abgemilderte „Regel“ vor: Je stärker archäologisch Fundgrup- pen sich voneinander unterscheiden, umso wahrscheinlicher sei es, dass sie mit sprachlichen und/oder ethnischen Differenzierungen einher gingen. In dieser reduzierten Form, das konzedieren die Autoren selbst, scheine diese Regel fast trivial. Sie sei es aber nicht, wie die deutsche Wissenschaftsgeschichte der vergangenen 65 Jahre belege.

Kern des Buches ist die Schließung einer alten Forschungslücke: Seit dem 19. Jahrhundert ist das um Christi Geburt gesprochene Germanisch anhand seiner Nachfolgesprachen Gotisch, Althochdeutsch, Altenglisch und Urnordisch im großen Teil verstanden und auch rekonstruiert worden. Große Durchbrüche sind hier seit gut 100 Jahren nicht mehr gelungen, da das vorhandene Material kaum mehr durch Inschriften- oder andere Textfunde erweitert werden konnte. Ebenso ist die indogermanische Ursprache, die wohl im ausgehenden 4. Jahrtausend v. Chr. gesprochen wurde, im Kern erforscht – hier war der Wissenszuwachs der letzten rund 120 Jahre indessen größer, weil neue Texte gefunden und das enorm umfangreiche vorhandene Material immer tiefer durchdrungen wurden. Der beeindruckende Beitrag Eulers besteht nun in der Hauptsache darin, die seit langem vernachlässigten Übergänge vom Proto-Indogermanischen zum Urgermanischen umfassend untersucht und die dazwischenliegende Sprachform der Bronze- und frühen Eisenzeit rekonstruiert zu haben. Schon Hans Krahe hatte im Jahr 1960 diese Forschungslücke beklagt, doch sehr wenige griffen seinen Appell seitdem auf, wie etwa der 2002 verstorbene US-Belgier Frans van Coetsem.

An dessen Arbeiten aus den neunziger Jahren (und die Werke weniger anderer) über einzelne Aspekte dieses frühesten Germanisch schließt Eulers Monographie an. Doch was van Coetsem „Germanic Parent Language“ nennt und was bei anderen Autoren Prä- oder Vorgermanisch heißt, nennt Euler „Protogermanisch“. Im englischen Sprachraum mag damit eine Verwechslung mit dem Sprachzustand um Christi Geburt angelegt sein, doch im deutschen Sprachraum droht dieses Missverständnis kaum, weil hier für den Sprachzustand um die Zeitenwende der Begriff „Urgermanisch“ eingeführt ist, den Euler – durchaus konsequent – zur eindeutigen Abgrenzung als „spätestes Urgermanisch“ terminologisch fokussiert. Dass Euler und Badenheuer den Begriff „prägermanisch“ meiden, hat eine einfache Ursache: Sie vertreten mit exakter Begründung die These, dass die Kimbern und Teutonen im späten 2. Jahr- hundert noch ein Idiom sprachen, das die erste Lautverschiebung, aber auch die mit dem Verner‘schen Gesetz beschriebenen Veränderungen sowie die Akzentverlagerung auf die Stammsilbe noch nicht vollzogen hatte; Kimbern und Teutonen aber waren keine „Prägermanen“, sondern frühe Germanen.

Ein erstes erstaunliches Resultat des Buches, das für weitere Forschungen wohl von großer Bedeutung sein wird und das zurecht auch der bekannte Onomastiker Jürgen Udolph besonders würdigt, besteht darin, dass Euler zeigen kann, dass das Keltische nicht den Einfluss auf die Entwicklung des Germanischen genommen hat, der ihm häufig zugeschrieben wird. Erst im späten 1. Jahrtausend v. Chr., also in der La-Tène-Zeit, habe das Keltische größeren Einfluss auf das Germanische ausgeübt, dies allerdings fast nur in Form von Lehnworten und nur ganz punktuell in anderen Bereichen. Gegenüber der „Skandinavien“-Theorie hatte der bekannte Namensforscher Jürgen Udolph unter Einbeziehung der Gewässernamen schon vor Jahren gezeigt, dass sich das Protogermanische mit einiger Wahrscheinlichkeit in einem Gebiet „westlicher der Elbe, südlicher der Aller und nördlich des Erzgebirges“ herausgebildet hat. Damit sind wir auf den Territorien des heutigen Niedersachsens, sowie Sachsen-Anhalts und Thüringens. Eine wichtige Argumentationshilfe sind dann die seit mehr als einem halben Jahrhundert vorliegenden einschlägigen Arbeiten Hans Krahes zur Etymologie von Flussnamen von Skandinavien bis Mittelitalien, vom Baltikum bis Spanien (darunter Saale, Drau Wörnitz, Weser), die eindeutig auf indogermanische Ursprünge verweist.

Bekräftigt wird auch, dass die alte Gliederung des Indogermanischen in Satem-Kentum-Sprachen durch eine Ost-West-Gliederung zu ersetzen sei. Die „Substrat“-Theorie, die Sigmund Feist 1932 entwickelte, ging von einer Einwanderung indogermanischer Stämme aus dem Osten aus, die sich die vor- indogermanische Bevölkerung unterworfen hätten. Diesem Theorem wurde, nicht zuletzt wegen seiner Ökonomie, lange Zeit großer Kredit eingeräumt. Mittlerweile kann sie zu Recht, auch dadurch, dass indogermanische Belege für solche Etymologien gefunden wurden, die Feist nicht aufklären konnte, als widerlegt gelten.

Vor dem Hintergrund dieser mit detektivischer Präzision zutage geförderten Bausteine wird in Eulers Forschungen einsehbar gemacht, dass sich nicht von Skandinavien her, sondern in Mitteleuropa – in einer Spannung zwischen baltischen, slawischen und italischen Sprachen – das früheste Germanische entwickelt haben dürfte. Euler kann überdies eine Spätdatierung der ersten Lautverschiebung plausibel machen, die im Osten und im Zentrum der Germania wohl zwischen dem 4. und dem 1. Jahrhundert stattfand, im Westen dagegen erst um die Zeitenwende zum Abschluss kam. Für diesen Vorgang ist die zweite Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. als Zeitspanne weitgehend gesichert. Euler gehört aber zu den Forschern, die – jedenfalls für den Westen der Germania – nun für einen Zeitpunkt eher am Ende dieser Periode plädieren. Mehr Diskussionen dürfte es über Eulers Theorie der Frühdatierung des Verner‘schen Gesetzes geben. Seine Argumente sind klar, dennoch wird sich hier vermutlich eine weitere Debatte entzünden, die aber nun auf ein sicheres Fundament gestellt ist.

Wichtig ist dabei aber auch, dass Eulers systematische Rekonstruktion des Altgermanischen davon weitgehend unbeeinflusst bleibt – der von ihm beschriebene Sprachzustand hätte in diesem Falle eben nur bis etwa an die Wende der Hallstattzeit zur La-Tène-Zeit gegolten und nicht bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. hinein.

In der Rekonstruktion des Protogermanischen geht der Eulersche Forschungsansatz auch methodisch neue Wege. Gerade auf dem methodischen Feld zeigt sich der grundlegende Innovationscharakter, wie auch der angesehene Eichstätter Altgermanist Alfred Bammesberger anerkennt: Da die ‚aufsteigende‘ Rekonstruktion des Germanischen ausgehend von dem frühesten überlieferten Sprachmaterial auf Schwierigkeiten stößt, weil die Materialgrundlage zu schmal ist, hat Euler, der auf nahezu allen Gebieten der Indogermanistik hervorragend ausgewiesen ist, in einer bestechenden Vergleichsanalyse anderer indogermanischer Sprachen das Altgermanische gleichsam in „absteigender“ Schlussweise herausdestilliert. Dadurch entsteht der Grundriss jener Sprachstufe, aus der die germanischen Einzelsprachen erst hervor- gegangen sind.

Eulers überaus genaue Systematik des Protogermanischen weicht in vielfacher Hinsicht vom konventionellen Bild ab, aber nicht, weil Euler das „klassische“ Urgermanisch nicht akzeptieren würde, sondern weil er mit der davor liegenden Sprachstufe vor der ersten Lautverschiebung völliges Neuland betritt und in eindrucksvoller Weise erschließt. Doch seine Monographie folgt streng der komparatistischen Methode der Indogermanistik und arbeitet beispielsweise nicht mit bis heute nicht allgemein anerkannten methodischen Ansätzen wie etwa der „Lexikostatistik“. Eines von vielen bemerkenswerten Ergebnissen: Die eher späte Datierung der Ausdifferenzierung des Altgermanischen kann sich auf parallele Ergebnisse des Slawisten Georg Holzer zum Protoslawischen beziehen, der in seiner Spätdatierungshypothese zeigt, dass erst die Wanderungsbewegungen des 5. und 6. Jahrhunderts den tiefgreifenden phonologischen Umbruch des spätesten Protoslawischen und die bald darauf folgende Ausgliederung der slawischen Einzelsprachen bewirkt hätten. Das eigentlich bahnbrechende Ergebnis aber liegt in der Rekonstruktion des Sprachzustandes des Germanischen von der Ausgliederung des westlichen Indogermanisch im frühen 2. Jahrtausend vor Christus bis zur Ersten Lautverschiebung, ein Zeitraum von mehr als 1600 Jahren. Es ist eindrucksvoll und der ziemlich singulären Gelehrsamkeit von Euler zuzuschreiben, dass von der wohl erforschten Frühphase der indogermanischen Ausgangssprache zu den dokumentierten Einzelsprachen ein derart überzeugender Bogen geschlagen werden kann.

Hinsichtlich der Ausgliederung des Germanischen aus dem westlichen Indogermanisch stellt Euler fest, dass sich zunächst nur das Formensystem differenziert habe, die Phonologie hingegen erst mit der Wanderungsperiode eine Dynamisierung erfährt. Auch hier kann man auf analoge Resultate im Protoslawischen verweisen. Die gemeinsame alteuropäische Wurzel ist in den jeweiligen Protosprachen, Italisch, Germanisch und Keltisch aller Wahrscheinlichkeit nach noch viel deutlicher ausgeprägt gewesen als ein Jahrtausend später im Spätlateinischen, Gotischen oder Frühirischen.

An Anschaulichkeit und Kraft gewinnt die Arbeit schließlich in den Überlegungen zu Syntax, Metaphorik und Stabreim, und dadurch, dass sie von bekannten Texten oder Sprichwörtern eine protogermanische Version anführt.

Das Werk bietet also für den Leser, auch jenen, der nicht aus dem engeren Fachgebiet kommt, einen faszinierenden Anblick in scharfsinnige neue Forschung. Für Einzeldiskussionen der Ergebnisse ist hier nicht der Ort. Doch eines wird man festhalten müssen: Hinter dem bescheidenen Untertitel verbirgt sich aber eine Archäologie kultureller europäischer Identitätsbildung in und durch Sprache jenseits der alten Konstrukte. Sie zu destruieren, ist das eine, an ihrer Stelle einen konzisen Bau aufzurichten, ist etwas anderes, sehr Seltenes. Dies gibt Eulers und Badenheuers Studie ihr besonderes Gewicht.

Prof. Dr. Harald Seubert

(germanistische Fachzeitschrift „Wirkendes Wort“ Ausgabe Nr. 3/2010, S. 511-514)

„Eine fast komplette Grammatik des Prägermanischen“

Die sprachliche Frühgeschichte, das Arbeitsgebiet der Paläolinguistik, ist ein sehr schwieriges Terrain, auf dem man sich nur mit äußerster Vorsicht bewegen kann. Ihr Grundproblem besteht darin, dass sie einen Zeitraum untersucht, für den es keine unmittelbaren sprachlichen Zeugnisse gibt. Es lässt sich also nur mit Rekonstruktionen und Hypothesen operieren, was natürlich viel Raum für ungezügelte Phantasie eröffnet. Das zeigen bereits die sich häufig widersprechenden Thesen zu den verschiedenen Urheimaten der Urvölker. Dazu gehört auch die Frage nach der „Urheimat“ der Germanen, die von den einen in Südskandinavien und von anderen in Norddeutschland angesetzt wird. Eine solide Einführung in den augenblicklichen Stand der Diskussion zu diesem Problem vermittelt die vorliegende gemeinsame Arbeit des Indogermanisten Wolfram Euler und des Wissenschaftsjournalisten Konrad Badenheuer. Dieses nicht alltägliche Gespann behandelt ein komplexes Kapitel der Paläolinguistik, und wählt dafür eine Form, die sich nicht nur an Vertreter vom Fach, sondern auch an interessierte Laien richtet. Vorwiegend für letztere sind die zahlreichen farbigen Abbildungen und Karten im Text bestimmt, welche die Lektüre auflockern.

Die Arbeit besteht aus zwei Teilen, das erste Kapitel Das Wissen über die Germanen und ihre Sprache (S. 12 – 57), aus der Feder von Konrad Badenheuer, behandelt die Frage nach der Herkunft bzw., verkürzt ausgedrückt, der „Urheimat“ der Germanen. Dieser in der Vergangenheit häufig missbrauchte Terminus wird allerdings hier wohlweislich vermieden. Der Rückblick zeigt das Schwanken zwischen Norddeutschland und Skandinavien bei der Suche nach den letzten Wohnsitzen der Germanen bzw. ihrer Vorfahren, der Proto- oder Prägermanen, vor ihren Wanderungen. Überraschend ist in diesem Zusammenhang, mit welcher Leichtigkeit einige Forscher den Standpunkt wechseln, was Fragen nach ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen lässt.

Eine gewisse Bestätigung erhält die norddeutsche These in jüngster Zeit vor allem durch die umfangreichen Untersuchungen zur alteuropäischen Hydronymie von Jürgen Udolph. Übrigens spricht bereits der Blick auf die Karte für diese These. Denn geht man von der indogermanischen Urheimat im mittelasiatischen Raum zwischen Kurgangebiet, Schwarzem Meer und Kaukasus aus, und setzt einen Zug der Vorfahren der heutigen europäischen Völker nach Westen an, so dürften die Protogermanen ohne Umweg zunächst direkt nach Norddeutschland gelangt sein. Skandinavien liegt von dieser Route abseits und außerdem waren die Böden dort weniger ertragreich als im Süden. Deshalb erscheint die These von der norddeutschen Heimat, die früher schon einmal verfochten wurde, doch plausibler als die skandinavische. Letztere wurde übrigens aus ideologischen und politischen Gründen von Wilhelm II. und Hitler favorisiert (S. 46 – 47).

Der zweite, mehrere Kapitel umfassende linguistische Teil hat zwei Aufgaben: die Rekonstruktion der prägermanischen Grammatik, der unmittelbaren Vorstufe des Urgermanischen sowie die Datierung der ersten oder germanischen Lautverschiebung und die Präzisierung ihres zeitlichen Verhältnisses zum Vernerschen Gesetz und zur Akzentfestlegung (S. 14). Als Prä- oder Protogermanisch wird das Idiom vor dem Urgermanischen bezeichnet. Es entstand, als sich nach der etwa im 4. Jahrhundert erfolgten gemeinsamen Abwanderung der Präbalten, Präitaler, Präkelten und Prägermanen aus der indogermanischen Urheimat dieser Verband um die Mitte des 3. Jahrhunderts aufspaltete. Prägermanisch wurde dann bis zu Beginn der ersten Lautverschiebung – 500 bis 100 vor Chr. – gesprochen. Allerdings ist dieser Zeitraum immer noch so lang, dass man in Zukunft wahrscheinlich weitere Unterteilungen vornehmen muss. Vereinfacht lässt sich sagen, dass das Prägermanische alle sprachlichen Veränderungen nach der Aufteilung der Westgruppe bis zum Beginn des Urgermanischen (erste Lautverschiebung) umfasst. Der Mangel an unmittelbaren Sprachzeugnissen für das Prägermanische kann nur durch in detektivischer Kleinarbeit zusammengetragene Indizien teilweise behoben werden. Im vorliegenden Fall stammt ein Teil der Indizien aus der Archäologie, was natürlich nicht unproblematisch ist, da bekanntlich Steine nicht reden. Hinzu kommen aber auch sprachliche Argumente, die in Verbindung mit denen aus der Archäologie die Argumentation unterstützen. Es sind in erster Linie die Flussnamen, die einer sehr alten Schicht angehören und somit Aufschluss über die älteren sprachlichen Verhältnisse geben können.

Ein anregendes Buch – Die Diskussion angestoßen und erheblich vorangebracht

Trotz dieser objektiven Schwierigkeiten legt Euler eine fast komplette Grammatik des Prägermanischen von der Lautebene über die Morphologie bis zur Syntax vor. Gewissermaßen als Bonbon gibt es schließlich noch – in der Tradition von Schleichers indogermanischer Fabel – einige rekonstruierte Textproben des Prägermanischen (S. 211 – 220). Leider ist die eingeklebte Errata-Liste um zahlreiche Druckfehler zu ergänzen: Militärkommendeur (S. 21), angenommon (S. 35), Anthropoligischen (S. 45), größter (S.52), altererbeten (S. 54) usw.

Der Leser hat ein anregendes Buch vor sich, das in einer auch Laien ansprechenden Form geschrieben ist. Ob alle hier in sehr überzeugender Weise vorgetragenen Thesen und Argumente Anklang finden werden, muß die weitere Diskussion zeigen, die von beiden Autoren nicht nur erneut angestoßen, sondern auch ein erhebliches Stück vorangebracht wurde.

Prof. Dr. Klaus Steinke

(Besprechung in „Informationsmittel (IFB)“, dem digitalen Rezensionsorgan für Bibliotheken und Wissenschaft, Dezember 2010.)

Quellennachweis:
ifb.bsz-bw.de/bsz314312765rez-1.pdf

„Fleißarbeit mit sensationellen Ergebnissen“

Spätestens seit dem Auftauchen der Himmelsscheibe von Nebra ist klar: Unsere Vorfahren in der Bronzezeit waren nicht so rückständig wie es uns römische Geschichtsschreiber aus späteren Zeiten weismachen wollten. Sie verfügten über ein umfangreiches astronomisches, landwirtschaftliches und handwerkliches Wissen und standen mit ganz Europa einschließlich dem Mittelmeerraum in wirtschaftlichem Kontakt und geistigem Austausch.

Wolfram Euler und Konrad Badenheuer tragen einen großen Teil dazu bei, diese alten Zeiten aus sprachwissenschaftlicher Sicht lebendig werden zu lassen. Unter Hinzuziehung älterer Sprachstufen von dem Germanischen nahe stehenden indogermanischen Sprachen wie Latein, Keltisch, Baltisch und Slawisch rekonstruieren die Autoren die Kontakte dieser Völker untereinander in vorschriftlicher Zeit. Alle diese Sprachen haben ihre Spuren im Germanischen hinterlassen, und am Entwicklungsstadium der Lehnworte ist zu erkennen, wann dies jeweils in etwa geschehen ist.

Dabei wird mit mehreren liebgewonnenen alten Theorien aufgeräumt, und das durchaus mit plausiblen sprachwissenschaftlichen Begründungen. An erster Stelle steht dabei die lange vermutete Herkunft der Germanen aus Skandinavien. Wie schon der Sprachwissenschaftler Jürgen Udolph postuliert, hat sich das Germanische bzw. Protogermanische aus dem Indogermanischen nicht in Nordeuropa, sondern in Mitteldeutschland entwickelt. Interessant ist auch die eingehende Beschreibung wissenschaftsgeschichtlicher Komplikationen, die in der Vergangenheit offenbar immer wieder zu falschen Schlüssen geführt haben.

Im engeren sprachwissenschaftlichen Teil, der für Nicht-Fachleute eher schwer Verdauliches bereithält, wird der Versuch unternommen, das Protogermanische, das in der späten Bronzezeit (um 1000 v. Chr.) und danach gesprochen wurde, zu rekonstruieren. Inwieweit das wirklich gelungen ist, könnte man wohl nur mit Hilfe einer Zeitmaschine verifizieren.

Obwohl dieser Test leider undurchführbar ist, fasziniert doch die enge Verwandtschaft der rekonstruierten protogermanischen Sprache mit archaischeren indogermanischen Sprachen wie z.B. Latein oder auch Russisch, beides Sprachen, die noch eine voll ausgebildete Nominalflexion aufweisen. Wenn uns auch der Bronzezeitler nicht als Gesprächspartner zur Verfügung steht, so kann man doch erahnen, dass sich der Protogermane mit dem Proto-Lateiner und dem Proto-Slawen noch einigermaßen verstanden hätte. Mit anderen Worten: es wird deutlich, dass sich die Vorläufer heute so weit auseinander liegender Sprachen wie Russisch, Deutsch und z.B. Spanisch vor 3000 Jahre noch einigermaßen nah waren.

Insgesamt ein hochinteressantes Werk, das viele offene Fragen zu unserer vorschriftlichen Geschichte mit Hilfe sauberer und ausgefeilter Methodik plausibel beantwortet.

Dr. Steffen Stölzer

(Amazon, 8. Januar 2011, leicht gekürzt)

„Sorgfältig konzipiert, anschaulich und lesbar“

Euler, Wolfram: Sprache und Herkunft der Germanen – Geschichte der germanischen Sprachen in der Bronze- und Eisenzeit seit ihrer Herauslösung aus dem Indogermanischen.

Im Unterschied zu anderen Sprachgeschichten wie Peter von Polenz: „Geschichte der deutschen Sprache“ (BA 10/09) und Hans U. Schmid: „Einführung in die deutsche Sprachgeschichte“ (ID 35/09) befasst sich das Buch mit der Frühgeschichte der germanischen Sprachen (vom frühen 2. bis zum ausgehenden 1. Jahrtausend vor Christus). Der Autor, Linguist, und sein Co-Autor, Journalist, haben es unternommen, eine Epoche zu bearbeiten, für die es kaum Überlieferungen gibt. Sie rekonstruieren den Übergang vom Indogermanischen zum Germanischen und schließen damit eine Lücke in der Forschung. Die einführenden Kapitel beschäftigen sich mit dem bisher schon vorhandenen Wissen über die Germanen und ihre Sprache. Einiges linguistisches Fachwissen erfordert sodann der Hauptteil, der die Formenbildung (Grammatik) zum Inhalt hat. Es folgt die Auswertung der wichtigsten Ergebnisse und eine Zusammenfassung in englischer Sprache. Ein sorgfältig konzipiertes Buch, anschaulich durch farbige Karten und Abbildungen und trotz des wissenschaftlichen Anspruchs ein für an Sprache Interessierte lesbarer Text.

Barbara Kette

(ekz-Bibliotheksservice, Anfang 2010)

„Räumt mit Mythen und Legenden auf – Lesen!!!“

Zunächst einmal die negativen Seiten. Lieber Verlag, ein solches Buch in einem solchen Format hätte ein Hardcover verdient gehabt. So ist es einfach nur eine Art Kladde, die leicht verknickt, intransportabel ist und im Bücherregal labberig umfällt. Das hätte wirklich nicht sein müssen. (…)

So und nun zur eigentlichen Rezension.

Das Buch an sich ist in zwei große Blöcke aufgeteilt. Zum einen die Geschichte (Herkunft) der Germanen und die Sprache. Den ersten Teil habe ich genutzt, um die bei mir signifikant auftretenden Bildungslücken zu schließen, die ich schon seit der Schule vor mir herschiebe. Denn das Thema Germanen wurde da gänzlich ausgespart. Zu diesem Zweck eignet sich das Buch ganz hervorragend, da es das Thema in einer Ausführlichkeit bespricht, die in anderen Publikationen vergeblich gesucht wird. Es ist gut geschrieben, übersichtlich aufgebaut und wie man so schön sagt didaktisch klug gestaltet. Und es räumt mit Mythen und Legenden auf, die sich so in den Köpfen festgesetzt haben (irgendwie kommen die nicht aus Skandinavien…). Sehr gelungen!!! Den zweiten Teil habe ich als sprachwissenschaftlicher Totallaie nur grob überflogen, das ein oder andere germanische Wort zu radbrechen versucht. Was ich allerdings sagen kann ist, dass sich die Autoren dem Thema in aller Gründlichkeit widmen, so dass von jedem Germanisten oder Skandinavisten Freudenschreie zu hören sein dürften!

Wenn wir jetzt hier beim Wunschkonzert wären, würde ich mir von den Autoren ein populärwissenschaftliches, reich bebildertes Buch zum Thema Herkunft, Geschichte und Sprache der Germanen wünschen. Aber bitte als Hardcoverausgabe ;-).Lesen!!!

Chrono

(Auszug aus der Besprechung im Blog „Chronographics‘ Books“, 26.10.2011)