Zayas/Badenheuer: 80 Thesen zur Vertreibung

Alfred de Zayas / Konrad Badenheuer: 80 Thesen zur Vertreibung – Aufarbeiten statt verdrängen

Alfred de Zayas and Konrad Badenheuer
80 Thesen zur Vertreibung – Aufarbeiten statt verdrängen
Taschenbuch, 216 Seiten, mit 15 Abbildungen, davon drei Karten
ISBN 978-3-945127-292
14,90

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Jeder vierte Deutsche hat familiäre Wurzeln im untergegangenen, „alten“ Ostdeutschland, also in Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen oder im Sudetenland. Die gewaltsame Entwurzelung von rund 14 Millionen Menschen aus diesen Regionen nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine Zäsur der deutschen Geschichte und hat die Landkarte Europas verändert. Und doch ist es still geworden um dieses Ereignis. Medien und Schulbücher berichten seit langem nur noch wenig darüber, Unwissen ist die Folge. Nur noch ein geringer Anteil der jungen Menschen in Deutschland kann Schlesien, einst eine blühende deutsche Region von der doppelten Größe Hessens, überhaupt noch auf der Landkarte finden.


Dieses Buch versteht sich als Antithese zu Verdrängung und Vergessen. Es ist ein Appell, die historischen Fakten zur Kenntnis zu nehmen, sie völkerrechtlich richtig zu bewerten und dann Schlussfolgerungen zu ziehen: Auch heute noch könnten mit gutem Willen viele Unrechtsfolgen der Vertreibung überwunden werden. Nach Überzeugung der Autoren hätte ganz Europa den Nutzen davon.

Der US-amerikanische Völkerrechtler und Historiker Prof. Dr. Alfred-Maurice de Zayas hat mit diesem Buch jahrzehntelange Forschungen und menschenrechtliche Tätigkeit für die Vereinten Nationen in Genf in 80 Thesen gegossen. Die Vertreibung der Deutschen stellt de Zayas in den weltweiten Kontext einer Situation, in der aktuell über 60 Millionen Menschen von Flucht, Vertreibung und erzwungener Migration betroffen sind. Schon seit mehreren Jahren vertreten die Vereinten Nationen sehr klar das Recht auf die Heimat („right to one‘s homeland“) als Menschenrecht, eine Entwicklung zu der Alfred de Zayas durch seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen und zugleich durch seine Arbeit als hochrangiger UNO-Experte beigetragen hat, die aber ausgerechnet in Deutschland nicht allzu viel Beachtung gefunden hat.

Das Buch schließt an eine Broschüre aus dem Jahr 2008 an, die „50 Thesen zur Vertreibung“ von Alfred de Zayas, die im selben Verlag erschienen und seit kurzem vergriffen sind. Die „80 Thesen“ sind freilich ein komplett neues, im Umfang mehr als vervierfachtes Buch, das die einschlägigen politischen und völkerrechtlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre berücksichtigt. Viele der Thesen des engagierten Völkerrechtlers sind verglichen mit der Fassung von 2008 noch genauer begründet, noch differenzierter formuliert und noch breiter in den aktuellen geistesgeschichtlichen Kontext Europas eingebettet. Beispielsweise zeigt de Zayas erstmals auf, wie klar jede Vertreibung auch gegen die Zehn Gebote und generell gegen die christliche Ethik verstößt.

Zu den Neuerungen gehört die Koautorschaft des alten und neuen Verlegers Konrad Badenheuer. Seine Beiträge zu dem Buch verleihen den Thesen insbesondere eine exakte Kontextualisierung in die bundesdeutsche geistige Landschaft der Gegenwart. Der Berliner Publizist und Journalist mit Insiderkenntnissen der Vertriebenenverbände geht der Frage nach, wie die massive Verdrängung der Deutschen beim Thema Vertreibung überhaupt zu erklären ist. Wie war es beispielsweise möglich, dass Begriffe wie „Ostdeutschland“ und „Ostbrandenburg“ einfach ihre Bedeutung ändern konnten und heute andere Regionen bezeichnen als früher? Was haben die verschiedenen Bundesregierungen und die Betroffenen selbst durch ihr Tun und Lassen zu dieser – aus Sicht der Betroffenen gewiss fatalen – Entwicklung beigetragen? Der Autor gibt faszinierende Antworten. Die Arbeit der Landsmannschaften seit ihrer Konstituierung um 1950 unterzieht er einer differenzierten, aber in einigen Punkten fast drastischen Kritik. Sein Fazit bleibt für die lange Frist dennoch optimistisch.

Ein weiterer Beitrag aus seiner Feder vergleicht die in Deutschland wenig bekannte Wiedergutmachungspolitik der osteuropäischen Staaten gegenüber den Vertriebenen seit dem Jahre 1990. Wissenschaftliches Neuland erschließt seine Untersuchung der Frage, wie viele Ost- und Sudetendeutsche erst nach ihrer eigentlichen Vertreibung an deren Folgen ums Leben gekommen sind – insbesondere durch hungerbedingte Krankheiten und mangelnde medizinische Versorgung. Im genauen Vergleich mehrerer bereits vorhandener Veröffentlichungen aus verschiedenen Herkunfts- und Aufnahmegebieten quantifiziert er diesen Verlust mit knapp 3,5 Prozent der Betroffenen oder etwa 410.000 Personen. Die bisherige Forschung hat diese Frage ignoriert und damit einen großen weißen Fleck hinterlassen.

Das Buch dokumentiert schließlich wichtige Entschließungen des Bundestages und des Europäischen Parlaments sowie wegweisende Erklärungen der Vereinten Nationen zur Wiedergutmachung von Vertreibungen. Alle diese Dokumente sind aus den 1990er Jahren, also vergleichsweise jung. Im Faksimile wird das Telegramm eines britischen Diplomaten vom 1. August 1945 wiedergegeben und analysiert, was neue Einsichten über die Erwartungen und das Kalkül der damaligen britischen Regierung hinsichtlich der Vertreibung eröffnet. Einige Landkarten und Fotos runden den Dokumentationsteil ab.